Es war am Sonnabend exakt um 20 Uhr mitteleuropäischer Winterzeit, da war es in Bahrain, dem 33 Inseln umfassenden Königreich im Persischen Golf zwei Stunden später, als für Porsche ein bedeutendes Stück Unternehmensgeschichte endete: Zum letzten Mal nahm ein Porsche 919 Hybrid, der bereits vor dem Start zu den „Six Hours of Bahrain“ als Sieger der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) 2017 feststand, an einem Rennen teil. Danach wird er einen Platz im werkseigenen Museum in Stuttgart-Zuffenhausen einnehmen – nach insgesamt 33 Einsätzen, 17 Siegen – darunter dreimal in Le Mans – und sechs Weltmeistertiteln (drei für Hersteller, drei für Fahrer) zwischen April 2014 und November 2018.
„Letzte Ausfahrt Bahrain“, so lautete die Überschrift der Pressemitteilung, die Porsche wenige Tage vor dem Ereignis im zu dieser Zeit für europäische Verhältnisse immer noch hochsommerlichen Bahrain veröffentlicht hatte. Der neunte und letzte Lauf zur Langstrecken-Weltmeisterschaft 2017 würde gleichzeitig der finale Renneinsatz für den Porsche 919 Hybrid sein. Zuvor hatte das Auto in seiner vierjährigen Karriere so ziemlich alles gewonnen, was es in seiner Serie zu gewinnen gab.
Der Prototyp aus der Sportwagenklasse LMP1 (LMP = Le Mans Prototyp) war entwickelt worden, weil Porsche 2014 nach 16 Jahren Le-Mans-Enthaltsamkeit 2014 wieder am legendären 24-Stunden-Rennen im Nordwesten Frankreichs teilnehmen wollte. Die an diesem Wettbewerb und an der World Endurance Championship teilnehmenden Prototypen sind die schnellsten Rennwagen mit geschlossenen Radkästen, die heute bei Rundkursrennen eingesetzt werden. Sie sind eine Klasse über den serienbasierten GT-Wagen angesiedelt und in puncto Kosten und Technologie mit den Fahrzeugen der Formel 1 vergleichbar. Die LMP1 Klasse wird in zwei Kategorien aufgeteilt: LMP1-H und LMP1-L. Das Kürzel „H“ steht für Hybrid und das „L“ für Leichtbau. In der LMP1-H Kategorie sind die Hersteller verpflichtet, mit Energierückgewinnungssystemen an den Start zu gehen. Privatteams hingegen dürfen nur in der hybridlosen LMP1-L Klasse teilnehmen. In beiden Kategorien dürfen nur noch geschlossene Fahrzeuge teilnehmen.
In der Motorsportszene gelten die Langstreckenrennen der WEC als ein besonders hartes und zugleich ideales Testlabor für innovative Antriebstechnologien. Deshalb beteiligte sich auch der Automobilzulieferer Schaeffler, unter anderem Spezialist für die Entwicklung von Hybridsystemen, am Porsche-Projekt. Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit: Im 919 Hybrid arbeitet ein aufgeladener V4-Ottomotor mit zwei Litern Hubraum und knapp 368 kW / 500 PS, der mit seiner Kraft die Hinterräder antreibt und in einer Kombination von zwei verschiedenen Systemen – Abgasenergie und Bremsenergie von der Vorderachse – Energie zurückgewinnt. Damit wird eine Batterie geladen, die ihrerseits Energie für einen Elektromotor mit über 294 kW / 400 PS liefert, der mit der Vorderachse verbunden ist und beim Beschleunigen für Allradantrieb sorgt. Entwicklungsleiter Fritz Enzinger erinnert sich: „Wir haben damals aus dem Stand einen hochkomplexen Hybrid-Rennwagen auf Formel 1-Niveau entwickelt.“
Die Ausgangssituation für das letzte Rennen in Bahrain sah so aus: Ebenso wie Konkurrent Toyota hatte Porsche in der LMP1-Klasse in der laufenden Saison vier Siege nach Hause gefahren. Aufgrund des Reglements standen für Porsche bereits die WM-Titel in der Hersteller- ebenso wie in der Fahrer-Wertung mit Earl Bamber, Brendon Hartley (beide aus Neuseeland) und Timo Bernhard (Deutschland) fest. Jetzt ging es nur mehr um die Ehre des Siegers am Schluss. Zu Ehren der frisch gebackenen Weltmeister hatte Porsche eine ganze Riege Prominenz in Bahrain einflogen, die in irgendeiner Weise mit dem Unternehmen verbunden sind oder waren. Zum Beispiel Aufsichtsratsvorsitzender Wolfgang Porsche, VW-Vorstandsboss und Ex-Porsche-Chef Matthias Müller und Hans-Joachim Stuck, ehemaliger Porsche-Werkspilot und siegreich in Le Mans. Müller bekam die Ehre, das Flaggensignal zur Eröffnungsrunde zu geben.
Weil bei den Sechs Stunden von Bahrain vier Autoklassen gleichzeitig teilnahmen – LMP1, LMP2 (Fahrzeuge mit geschlossenem Cockpit und V8 Einheitsmotor mit 4200 ccm Hubraum), GTE-Pro (höchstens 5,5 Liter Hubraum im Sauger- , 4 Liter im Turbomotor) und GTE-Amateure – war zunächst nach dem Start der Überblick etwas kompliziert.
Schon kurz nach Rennbeginn, die beiden LMP1-Porsches mit den Startnummern eins und zwei lagen in Führung, musste zum ersten Mal das Safety-Car in Aktion treten, weil der Weltmeister-Porsche mit der Startnummer zwei im Eifer des Gefechts ein Stück Streckenbegrenzung mitgenommen hatte. Dieser Poller hatte sich am Wagen verkeilt und damit Lufteinlass-Schlitze blockiert, weshalb der Wagen alsbald außerplanmäßig zur Reparatur an die Box musste. Wenig später rannte – unbeschadet – eine schwarze Katze von links nach rechts über die Fahrbahn. Ein schlechtes Omen?
Immerhin entwickelte sich ein bis zur letzten Minute in allen vier Kategorien ungeheuer spannendes Rennen mit einigen glücklich verlaufenen Kollisionen, der einen oder anderen Strafminute auch für einen Porsche und zahlreichen Überholmanövern. Am Ende hatte in der höchsten Kategorie Toyota die Nase vorn vor den beiden Porsche, wobei die alten und neuen Weltmeister auf dem zweiten Platz landeten. Bei den LMP2-Boliden wurde Bruno Senna, Neffe des tödlich verunglückten dreimaligen Formel-1-Weltmeisters Ayrton Senna aus Brasilien, zusammen mit zwei weiteren Fahrern Weltmeister, und in der Kategorie GTE tauchte ein weiterer prominenter Name auf: Hier wurde Aston Martin Weltmeister in einem Auto, in dem neben zwei anderen auch Mathias Lauda, Sohn des einstigen Formel 1-Weltmeisters, am Steuer saß.
Wie geht es nun bei Porsche weiter? Im Renngeschehen steht das Unternehmen wieder einmal vor einem Neubeginn, weil es sich bei der Formel E, dem höchsten Wettbewerb für Elektrofahrzeuge beteiligen will. Hier ist Kooperationspartner Schaeffler zusammen mit Audi schon seit einiger Zeit aktiv. Ob das Engagement mit Porsche fortgesetzt wird, soll in den kommenden Wochen entschieden werden. Für Porsche-Boss Oliver Blume sind die Weichen für die kommenden Jahre seines Unternehmens, was die Produktion und Entwicklung von Serienfahrzeugen angeht, längst gestellt. „Wir werden dreigleisig fahren – mit Verbrennungsmotor, mit Hybrid und rein elektrisch“, so schilderte er die Porsche-Zukunft bei einem kurzen Gespräch am Rand des Bahrain International Circut. Bereits jetzt würden sich etwa 40 Prozent aller Porsche-Panamera-Kunden für einen Hybrid entscheiden. „Bei uns in der Entwicklungsabteilung gibt es natürlich immer noch manche Petrol-Heads, für die der Ottomotor ein und alles ist“, sagt Blume. „Aber wenn die einmal in einem sportlichen Elektroauto gesessen haben, ändern sie ihre Meinung sofort.“
So wie einst der 1998 gestorbene Ferry Porsche,
Sohn des Patriarchen Ferdinand Porsche, ist auch Blume der Meinung, dass Motorsport in erster Linie Härtetest und Entwicklungsbeschleuniger für zukünftige Straßensportwagen ist und erst danach ein wirksames PR- und Werbeinstrument: „Die Beteiligung am Motorsport macht uns gegenüber dem Wettbewerb innovativer.“ Mit Otto- und Hybridmotoren haben die Ingenieure aus Stuttgart den Beweis dafür längst erbracht. Ihre Erfolge sind Teil der Motorsportgeschichte. Jetzt wird ihr Engagement in der Formel E zeigen, ob ihnen das mit dem reinen Elektromotor auch gelingt. (ampnet/hrr)