Das schwarze Tuch hatte so gar nichts von Trauer, sondern verbreitete den Hauch der Exklusivität und Vorfreude. Denn unter den gefütterten Planen verbargen sich rund 30 Oldtimer, alle mit dem Stern und alle bereit, ihre Fahrer von Brookland – der Mutter aller Rennstrecken- nach Goodwood zu bringen, an den Ort, an dem nicht nur Briten jedes Jahr wieder die Faszination des Autos zelebrieren.
Verhüllt standen das 300 SL, Pagoden, 170-er, Vorgänger der neuen Mercedes-Benz CL-Klasse und was „Mercedes-Benz Classic“ aus der Zeit seit den 50-er Jahren noch alles zu bieten hat. Doch dieses Mal lockten mich nicht die Schönen und die Starken, sondern einer der 170-ger, von dem in der Familie berichtet wird, einst sei ein Käfer auf dem Kofferraum des 170-ers meines Großvaters zerschellt, ohne dort Schaden hinterlassen zu haben.
So bestiegen wir am nächsten Morgen bei strahlendem Wetter ein Mercedes 170 S Cabriolet von 1950. Mit seinem blassen Landwirtschaftgrün war der zwar unvorteilhaft geschminkt, aber dennoch imposant, selbst mit dem heruntergeklappten Dach unter der großen Persenning – vom Design her noch ganz Vorkriegsware mit frei stehenden, geschwungenen Kotflügeln, Trittbrett und nach vorn weit öffnender, großer Tür.
Sein Vierzylinder-Motor mit knapp 1,8 Litern Hubraum entwickelt 38 kW / 52 PS. Das, sein Gewicht und seine nicht gerade windschlüpfige Form schließen Fahrleistungen aus, wie wir sie heute erwarten. Seine Höchstgeschwindigkeit liegt bei 120 km/h; von 0 auf 100 km/h braucht er eine halbe Minute.
Auf dem Land im Süden Englands macht einem das wenig aus. Die Straßen sind, kurvenreich und schön, die Dörfer malerisch. Da stellt sich fast von selbst eine Geschwindigkeit um die 60 km/h ein. Aber auf dem Motorway fühlt man sich mit 90 km/h aber doch als Hindernis, wenn die dicken Laster rechts an einem vorbeidonnern. Doch man gewöhnt sich auch daran, zumal sich niemand beklagt. Oldtimer sind wohl gelitten und – bedenkt man die vielen lächelnden Gesichter – auch wohlgelitten.
Bevor es soweit kam, mussten wir am ersten Kreisverkehr nach dem Parkplatz in Brookland auch gleich einen ersten Schock verwinden. Zwar hatten wir uns unser gutes Stück vor Fahrtbeginn gründlich angesehen und auch noch erklären lassen, doch der lange Weg beim Umsteigen vom Gas- aufs Bremspedal überraschte uns, ebenso der Kraftaufwand fürs Bremsen selbst. Servoverwöhnten kann das schon den Atem rauben, wenn erst der Fuß hängen bleibt und dann die Bremse den ganzen Mann fordert.
Natürlich kommt auch die Lenkung ohne Servounterstützung aus. Doch dank des riesigen Lenkrads mit dünnem Kranz empfanden wir die Lenkarbeit nicht als Zumutung. Da waren wir eher schon überrascht davon, dass die Lenkung präziser arbeitet als wir dem Oldie zugetraut hätten.
Hinter der flachen, steil stehenden Windschutzscheibe mit den witzigen und winzigen Scheibenwischern am oberen Rand ist bei solch prächtigem Sommerwetter gut Reisen. Die breiten, glatten Ledersessel sind sehr bequem und passen in jedes großbürgerliche Herrenzimmer, aber eigentlich nicht in ein Auto. Dazu sind sie zu glatt und bieten garkeinen Seitenhalt.
Endlich kann man das Wort „Armaturenbrett“ einmal in einem Text über Autos ohne schlechtes Gewissen verwenden. Denn hier werden die Armaturen wirklich von einem massiven Brett in dunklem Holz getragen, umrahmt von dem helleren Holz der Innenraumumrandung. Zum Herrenzimmer-Stil passt auch der viele Chrom und letztlich auch das Autoradio, dessen Bedienung uns ein Buch mit sieben Siegeln schien, dem wir uns aber nicht nähern mussten, weil wir schon zu Beginn der Fahrt gelernt hatten, dies sei das einzige Teil was bei unserem 170-er nicht funktioniere.
Wir brauchten zwei Stunden für die 80 Kilometer von Brookland nach Goodwood, und das war keine Zeitverschwendung, sondern gleich im doppelten Sinne eine Reise in der Zeitmaschine. Der 170-er beförderte uns zurück in eine andere Zeit, und wir fanden es entspannend, so zu reisen und dabei die Zeit zu vergessen.
Am Ziel unserer Reise wurde es dann wieder unruhig. Das „Festival of Speed“ in Goodwood sieht zwar auch viele Oldtimer – zu Fuß und auf vier Rädern. Doch die meisten wollen es krachen lassen. (ampnet/Sm)